So sieht eine Win-win-Situation in der Praxis aus: Was das Sauerländer Stahlunternehmen Risse+Wilke von einem Berliner Start-up gelernt hat – und wie jetzt neue Geschäftsmodelle entstehen.

Kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) sehen sich aktuell vor viele Herausforderungen gestellt, die sie bis vor kurzem nicht auf der Agenda hatten: Eine Pandemie, ein Krieg in Europa, die Inflation und steigende Energiepreise verlangten und verlangen den Betrieben hierzulande einiges
ab. „Auf diese Einflüsse von außen müssen Unternehmen nun intern eine Antwort finden“, sagt Christoph Schöttler, Geschäftsführer von
Risse+Wilke, einem mittelständischen Stahlverarbeiter mit Sitz in Iserlohn. Für frischen Wind sorgt dabei seit einiger Zeit die Kooperation mit einem Berliner Start-up. Risse+Wilke ist stolz auf seine 100-jährige Geschichte, doch das Unternehmen weiß: Tradition ist im digitalen Zeitalter kein Wert an
sich. „Digitalisierung ist für uns natürlich eine Selbstverständlichkeit, die Basis unserer Unternehmensstrategie und die Grundvoraussetzung für alle unternehmerischen Tätigkeiten“, so Schöttler. „Doch manche Pfade im Unternehmen sind zugegebenermaßen eingetrampelt: Da brauchen wir Input
von außen.“ Nachdem das Unternehmen Mitglied im Digital Hub Logistics wurde und mit Unterstützung von Hub-Programmmanagerin Charlotte Edzard ein eigenes Innovationsteam etabliert hatte, ergab sich schnell auch ein Kontakt zu dem Berliner Start-up Vanilla Steel, einer Online-Handelsplattform für Stahl. Das junge Unternehmen hat sich im konservativen Stahlmarkt inzwischen einen Namen gemacht. Heute arbeiten dort
rund 30 hochqualifizierte Stahl und Online-Expert:innen.

Neue Denkweise
Zu Beginn interessierte sich Risse+Wilke vor allem für das Angebot der Berliner – als neuen Vertriebsweg für das Kaltband, das das Unternehmen sonst zur Verschrottung brachte. Aus der Zusammenarbeit im Tagesgeschäft entstand jedoch mehr: eine strategische Kooperation. Vor gut einem
Jahr unterzeichneten die Unternehmen einen Partnerschaftsvertrag, der eine klassische Win-win-Situation darstellt: „Wir helfen und unterstützen uns gegenseitig“, sagt Christoph Schöttler. „Während wir Vanilla Steel beispielsweise neue Türen in die Stahlindustrie öffnen, ist in unser Unternehmen eine komplett neue Denkweise eingezogen – in die Büros, ins Marketing, in den Vertrieb, auch in die Geschäftsführung.“ Ein simples Beispiel bringt die Veränderung auf den Punkt: Wo früher unrunde Prozesse und unzureichende Kommunikation untereinander die Abläufe erschwerten, sind heute die Augen für Optimierungspotenziale geöffnet und eigenverantwortliches Arbeiten in den Teams fest im Unternehmen etabliert. Inspiriert durch den Berliner Start-up-Partner entwickelt Risse+Wilke derzeit eine genossenschaftlich orientierte Plattform im Internet, auf der jeder industrielle Betrieb Ersatzteile einstellen kann. Der Hintergrund: Bereits seit einigen Jahren leiden Industrieunternehmen unter langen Lieferzeiten für Ersatzteile. Mitunter warten Unternehmen Monate auch auf wichtige Komponenten. Die Maschinen stehen dann still – ein enormer Verlust. Eine groß angelegte Bevorratung allerdings ist ebenso wenig wirtschaftlich. Im Fall der Fälle klicken sich Unternehmen heute durch Kleinanzeigen im Internet oder Fragen zur Not bei anderen Betrieben nach. „Wir dachten uns: Die Beschaffung muss sich doch professionalisieren lassen!“, beschreibt Simon Wilke, Einkäufer bei Risse+Wilke, die neue Geschäftsidee.

Problemlösungen anbieten
Bei der Umsetzung ließ sich Risse+Wilke von der Innovations-Denke der Berliner inspirieren und entwickelte zunächst ein sogenanntes Minimum Viable Product (MVP), um die Aufmerksamkeit der Zielgruppe zu gewinnen und die Idee zu testen. Vanilla Steel stellte dabei auch sein konzeptionelles und technisches Know how zur Verfügung. „Mit der neuen Plattform geht es uns in erster Linie um eine Erhöhung der Ersatzteil-Verfügbarkeit“, so Christoph Schöttler. „Das Projekt zeigt uns aber auch: Wenn wir neue Geschäftsmodelle etablieren wollen, müssen wir unseren Kunden echte Problemlösungen anbieten. Das ist der Spirit!“